TATORT – Drehbücher und Dialoge für der Deutschen liebstes Fernsehformat
TATORT-Drehbuchautoren Michael Comtesse & Michael Proehl zu Gast am digitalen Mediencampus
Ein Beitrag von Valerie Neumaier
Mittwoch, 5. August 2020
Mediencampus der Hochschule Darmstadt
Ob man Krimis mag oder nicht: am „Tatort“ kommt man hierzulande nur schwer vorbei. Die bereits seit 1970 im Ersten laufende Serie ist bis heute die langlebigste und beliebteste Krimireihe im deutschsprachigen Raum, mit Einschaltquoten von bis zu 12 Millionen bei Erstausstrahlungen.
Am 24. Juni 2020 war der Drehbuchautor Michael Comtesse vom mehrfach ausgezeichneten Schreibkombinat Kurt Klinke aus Berlin zu Gast am digitalen Mediencampus. Comtesse war Regisseur mehrerer Kurzfilme, bevor er sich auf Krimi-Drehbücher spezialisierte – unter anderem für die Serien „SOKO Stuttgart“ und „Der Kriminalist“. Seit 2016 schreibt er für den „Tatort“. Thema seines Seminars: Drehbuch und Dialoge im Film.
Spontaner Überraschungsgast: der mit sämtlichen deutschen Drehbuchpreisen dekorierte Autor Michael Proehl, der nicht nur die „Tatort“-Folgen „Weil sie böse sind“ (Deutscher Fernsehpreis), und „Im Schmerz geboren“ (Goldene Kamera) schrieb, sondern auch für die Netflix-Serie „Dogs of Berlin“ schrieb.
„Tatort“-Drehbuchautoren Michael Comtesse (l.) and Michael Proehl (r.)
Von Recherchen, Dialogen und Schreibblockaden
Erste Frage der Studierenden: Wie recherchiert man Themen für einen „Tatort“?
Wie ein Journalist: mit vielen Gesprächen, Hausbesuchen bei Experten und als Vorbereitung darauf dem Wälzen von Wikipedia-Artikeln. Praktischerweise wohnt direkt im Bürogebäude von Comtesses Arbeitsplatz beim Schreibkombinat Kurt Klinke ein IT-Forensiker. Dieser ist wiederum mit einem pensionierten Chef der Mordkommission bekannt, der gerne aus dem Nähkästchen plaudert – die authentischen Anekdoten lässt Comtesse natürlich gern in seine Drehbücher einfließen.
Apropos Authentizität: Wie schreibt man eigentlich gute Dialoge?
Als Faustregel gilt: niemand redet wie gedruckt.
Martin Luther prägte im 16. Jahrhundert den Satz, man müsse den Leuten „aufs Maul schauen, wie sie reden.“ Ein Drehbuchautor muss genau das tun, um lebensechte Dialoge zu konstruieren. Charaktere brauchen eigene Sprachmuster, sprechen in lokalem Dialekt, haben Sprachticks, müssen einander auch einmal unterbrechen, abschweifen. Das deutsche Vorabendfernsehen hat allerdings die schwierige Aufgabe, auch Menschen mitzunehmen, die nebenbei noch den Haushalt machen und nicht ununterbrochen der Handlung folgen können – daher auch die Bezeichnung „Bügelfernsehen“. Das bedeutet, dass etwa alle 15 Minuten der Plot zumindest in einem kurzen Gespräch noch einmal rekapituliert werden sollte, auch für den Zuschauer, der später hinzugeschaltet hat. Das Ergebnis sind oftmals gestelzt wirkende Dialoge.
Die Balance zwischen visuellem Erzählen und langatmigen Erklärungsdialogen zu finden, ist schwierig – und das Schreiben von Seifenopern wie der „Lindenstraße“, die in einem gleichbleibenden Kosmos spielen, eine große Herausforderung für AutorInnen.
Tatsächlich empfindet Comtesse das Schreiben eines „Tatort“-Drehbuchs als leichter, da das abendfüllende Format gerne mit Stilmitteln spielt, Regelbrüche zulässt und mehr Flexibilität bei Setting und Tonalität bietet.
Wie gehen die Autoren mit Zeitdruck und Schreibblockaden um?
An dieser Stelle schallt kollektives Gelächter durch die Runde – auch die Profis kennen diese Probleme nur zu gut und begegnen dem Druck, liefern zu müssen, mit verschiedenen Techniken. Manche übermüden sich absichtlich, um einen tranceartigen „Tunnelblick“ herbeizuführen und sich auf diese Weise in den „Flow“-Zustand zu zwingen, andere stellen sich eine Eieruhr und schreiben dann eine Seite in 20 Minuten. Proehls pragmatischer Rat an die Studierenden: Rechtzeitig anfangen. Verschanzen. Handy und Internet abstellen.
Heikle Themen – vor und hinter der Kamera
Weiter geht es mit einem heiklen Punkt: Was verdient ein „Tatort“-Autor eigentlich an einem Drehbuch für die prestigeträchtige Serie? Vor kurzem hat der Deutsche Verband der Drehbuchautoren durchgesetzt, dass ein „Tatort“-Drehbuch mit mindestens 85.000 € zu vergüten ist.Das klingt, abgesehen vom Rampenlicht, erst einmal lukrativ. Oftmals erhalten die Autoren aber nur die Hälfte der Summe – der Rest wird nur dann ausgezahlt, wenn das Skript auch tatsächlich verfilmt wird.
Nichtsdestotrotz gilt die Kultserie unter Autoren nach wie vor als Königsklasse – auch, wenn die Zunft der Streamer dem klassischen Fernsehen zunehmend den Rang abläuft. Für viele Autoren stellt die Arbeit an der Serie auch eine seelische Herausforderung dar: Wie geht man emotional damit um, sich die oft grausamen Taten ausdenken zu müssen, die in den Folgen thematisiert werden? Vor allem, wenn es um sensible Themen wie Kindesmissbrauch geht – etwa bei der von Proehl mitverfassten ARD-Produktion „Das weiße Kaninchen“, bei der in die Sichtweise des Täters eingetaucht wird – stoßen gerade Autoren, die selbst Eltern sind, an ihre Grenzen.
Rückblickend haben Comtesse und Proehl einen weiten Weg hinter sich, wollten als Studenten noch Kinofilme machen, schrieben Horrorkomödien und Sci-Fi. Heute produzieren sie fürs Abendprogramm, diverse Streaminganbieter und Proehl schreibt gerade einen Kinofilm.
An dieser Stelle kann einer der Studierenden nicht anders, als seinem kreativen Frust Luft zu machen: Nach dem Studium kommt die harte Realität – und dann ist keine Zeit mehr, um die im Studium verfolgten Träume zu verwirklichen?
Comtesse glättet die Wogen: Ideen, so sagt er, reifen mit der Zeit zu etwas Neuem heran und führen oft erst nach Jahren zum Erfolg. Entscheidend ist ein langer Atem. Vieles von dem, was heute dank Streaming-Services eine Plattform findet, wäre vor 15 Jahren gar nicht umsetzbar gewesen, da der Markt dafür nicht existierte. Die Tugenden aus dem Studium – das Dranbleiben, Mut, Beharrlichkeit, Selbstdisziplin – und das bewusste „Reinschmuggeln“ von Ideen, die die gängigen Sehgewohnheiten sprengen – lässt den Kampf um die Kreativität erfolgreich weitergehen. Einfach, gibt Comtesse ehrlich zu, ist es nicht – aber Wert ist es das Ergebnis allemal.
Weiterführende Links
Der „Tatort“ in der ARD-Mediathek
Michael Proehl auf der Internet Movie Database
Michael Comtesse auf Wikipedia
Das Schreibkombinat Kurt Klinke auf Facebook
#Tatort | Bild: ARD