Zeitfresser Smartphone: Anne Himmelmann gewinnt Nachwuchspreis der Stadt Dieburg
Audiovisuelle Installation "IT MIGHT BE" mit dem Nachwuchspreis der Stadt Dieburg ausgezeichnet
Ein Beitrag von Valerie Neumaier
Dienstag, 28. Juli 2020
Mediencampus der Hochschule Darmstadt
Alljährlich wird der Nachwuchspreis der Stadt Dieburg ausgelobt, um „einen kultivierten, ethisch orientierten Gebrauch digitaler Medien zu befördern.“
Unter diesen Vorzeichen stand auch die diesjährige Vernissage von Studierenden des Mediencampus „Erinnerungen an Morgen / Memories of Tomorrow“. Die Ausstellung fand zum ersten Mal in virtueller Form statt und drehte sich um die mediale Auseinandersetzung mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Publikumsfavorit und Gewinner des Nachwuchspreises war die Videoinstallation „It Might Be“: Eine eindrucksvolle Mischung aus Bild und Ton, die das Mobiltelefon als manipulativen Aufmerksamkeits- und Zeitfresser inszeniert und „die besondere Rolle der sozialen Medien zum Transport von Wahr- und Unwahrheiten auf unwiderstehliche Weise deutlich macht“, so Dieburgs Bürgermeister Frank Haus bei der Finissage.
Preisträgerin Anne Marie Himmelmann, Studentin des Master-Studiengangs Leadership in the Creative Industries, erzählt, wie das Projekt zustande kam:
Ich habe von der Ausschreibung zu ‚Memories of Tomorrow‘ gelesen und hatte die Idee, was mit sozialen Medien zu machen. Eigentlich bin ich jemand, der bewusst konsumiert und immer anderen Leuten predigt: ‚Schaltet das Ding aus, geht mal in den Wald!‘, aber merke trotzdem, wie krass mich das packt und ich dann stundenlang durch Instagram scrolle. Und dann denke ich mir: was machst du denn da für einen Scheiß? Mein Ziel ist es – obwohl es im digitalen Zeitalter ein altes Thema ist – dass den Leuten bewusst wird, dass man sich Grenzen beim Konsum von Social Media setzen muss.
Die Künstlerin kommt ursprünglich aus dem Studiengang Sound & Music Production, arbeitete als Tontechnikerin am Staatstheater Darmstadt, baute mit After Effects Hintergrund-Videos für Tanzproduktionen und spezialisierte sich schließlich auf die Technologie des Projection Mappings, also der Projektion von Videos auf große Flächen wie Theater-Requisiten und Häuserfassaden. Im Wintersemester 2019/2020 entwickelte sie für das Event „Snow White / The Fairytale Experience“ die interaktive Installation „Queenstagram“ mit, die sich kritisch mit realitätsverzerrenden Instagram-Filtern auseinandersetzte. Das Konzept verfolgte sie anschließend weiter und „It Might Be“ enstand.
Verstörende Social Media-Kritik
Ursprünglich war das Werk als großflächige Projektion auf drei Wänden angelegt, bis heute erkennbar an den drei parallelen Smartphones, die den Bildschirm einnehmen. Dadurch, dass das Kunstwerk durch die Corona-Pandemie nur virtuell und durch das Schaufenster im Schloss Fechenbach in der Eulengasse gezeigt werden konnte, musste das Endprodukt leider deutlich kleiner ausfallen – aber Innovation entsteht bekanntlich aus Notwendigkeit: die eindrucksvolle Tonspur mit der sirenenhaften Erzählerin, die einen in eine Kakophonie aus Zerrbildern und endlosen Ablenkungen hineinzieht. Das gibt der Installation eine zusätzliche Klangebene, die dem Werk eine ganz neue Sogwirkung verleiht. Die Zuschauer*innen werden in einen Strudel aus Notifications, Postings und der ständigen Angst, etwas zu verpassen, gezogen – „nur ganz kurz“, wie die körperlose Stimme stetig versichert.
Die Stimme – eingesprochen von einer befreundeten Schauspielerin, mit der Anne sich nun das Preisgeld teilt – ist nicht klar personifiziert. Sie wechselt unentwegt Position und Erzählperspektive, die Zuschauenden wissen nicht, wo sie sich in Zeit und Raum befinden. Auch wirken sämtliche Klänge, die man in der Installation hört, seltsam vertraut – kein Wunder, denn die Musik- und Tonuntermalung besteht vollständig aus IPhone-Sounds. Verfremdet, verlangsamt, verzerrt begleiten sie die Bilderflut, die das Publikum am Ende in einem dunklen Raum zurücklässt – mit dem allzu vertrauten Bedürfnis, einfach weiterzuscrollen, um die entstandene Leere wieder zu füllen.
Hauptzielgruppe der Installation sind Millenials, – die „semi-analoge“ Generation, die den rasanten Wandel vom Röhrenfernseher zum Sprachassistenten live miterlebt hat. Anne stellt die These auf, dass der Dauerstress der ständigen Neuanpassung es dieser Generation schwergemacht hat, den ständig mutierenden Versuchungen sozialer Medien zu widerstehen und sie verantwortungsvoll zu nutzen.
Zu sehen gibt es „It Might Be“ hier: https://staging.medienkultur.eu/exhibition/exhibition/it-might-be/