Die Kunst des audiovisuellen Erzählens
Prof. Dr. Alexander Herzog stellt beim ersten ScienceWednesday im Sommersemester 2017 sein Experiment zum audiovisuellen Erzählen im Film vor.
Ein Beitrag von Miriam Ott
Sonntag, 7. Mai 2017
Mediencampus der Hochschule Darmstadt
Anfang Mai startete erneut die ScienceWednesday-Reihe an unserem Mediencampus. Die Veranstaltung, die an insgesamt vier Mittwochen im ganzen Sommersemester stattfindet, gibt tiefe Einblicke in aktuelle Forschungsprojekte und erläutert neue wissenschaftliche Methoden und Ansätze der jeweiligen Fachgebiete.
Zum Auftakt referierte Prof. Dr. Alexander Herzog, Studiengangsleiter im Studiengang „Motion Picture“, über ein vom Zentrum für Forschung und Entwicklung (ZFE) gefördertes Experiment zum audiovisuellen Erzählen im Film.
„Wer den Code nicht entschlüsseln kann, sieht mit Unverständnis auf den Film.“
Einstieg in den Vortrag in der Mittagspause war die Vorstellung zweier seiner Kurzfilme. Beide sind vollkommen ohne narrativen Anteil. Dieses bewusst gewählte narrative Vakuum eröffnet den Raum, um auf einer subtilen unterbewussten Ebene zu kommunizieren. Das unmittelbare Erleben des Zuschauers steht hier im Vordergrund. Die in diesen dialoglosen Streifen verwendeten Stilmittel sind visuelle Abstraktion, Dekonstruktion filmsemiotischer Zusammenhänge, extremer Einstellungskontrast und Kontrapunkt. Die Filme arbeiten zudem mit synthetischen Zusammenhängen von Textur, Farbe und akustischem Klang. Diese besonderen Arbeiten kommunizieren jenseits des gängigen kinematografischen Codes und hinterlassen oft ein überfordertes und orientierungsloses Publikum.
Dieser Kompromiss konnte nicht länger aufrecht erhalten werden
Die Forschungsarbeit, auf der der Fokus der Veranstaltung liegt, versucht durch das Erzählen einer Geschichte im Film, dieses Defizit zu beheben, ohne dabei die besonderen Möglichkeiten der in den Experimentalfilmen entwickelten Sprache zu verlieren. Der Film mit dem Arbeitstitel „Dieser Kompromiss konnte nicht länger aufrecht erhalten werden“ ist deshalb völlig anders aufgebaut. Alle bild- und tonsprachlichen Mittel sind extrem zurückgenommen und ordnen sich völlig der Narration unter. Der Kurzfilm handelt von einer Frau am Rande der Gesellschaft. Ihre Unfähigkeit, die geforderten Konventionen zu bedienen, stehen im Gegensatz zu ihrem großen Verlangen nach zwischenmenschlicher Geborgenheit. Sie beginnt, verdeckt im Gebüsch eines Vorgartens eine Familie beobachtet. Sukzessive stellt sich heraus, dass sie einen persönlichen Bezug zu dieser Familie hat – es ist Ihr früherer Ehemann, der mit dem gemeinsamen Sohn, seiner neuen Frau und einer weiteren Tochter im familiären Idyll einer Einfamilienhaussiedlung lebt. Schritt für Schritt gleitet die Protagonisten immer weiter in das Leben der Familie, bis sie sogar denkt, sie sei selbst in der Wohnung der Observierten. Sie duscht dort im warmen Wasser und legt sich zu dem Ehepaar ins Bett, während sie sich tatsächlich im Garten entkleidet und nackt ins Gebüsch legt.
Eine sehr schwierige Art der Filmkonzeption
Ziel ist es, mit den gewählten Mitteln eine möglichst große Empathie zur Darstellerin herzustellen. Point Of View Aufnahmen, durch die man die Bewegung der Frau sieht und sie quasi spüren kann, stehen im Kontrast zu Weitwinkelaufnahmen, in denen man die ganze Szenerie erkennen kann. Ebenfalls wurde der Film nicht mit zusätzlicher Musik unterlegt, sondern mit verschiedenen realen Atmosphären, die sich wie Musik verhalten. Einzelne Dialoge sind vorhanden und stehen damit im Kontrast zu viele stillen Passagen, die ein Vakuum und damit verbunden Unmittelbarkeit erzeugen.
Diese Art der Konzeption ist schwierig, da während der Produktion nicht vorhersehbare Effekte eintreten können. Gerade bei Zusammenhängen aus Bild und Ton entstehen immer wieder Situationen, die man so nicht vorhersehen kann und die damit natürlich die gesamte Produktion beeinflussen.
Die dreiviertelstündige Veranstaltung des ScienceWednesday endet mit einem Ausschnitt aus dem zuletzt vorgestellten Kurzfilm, der noch gar nicht fertig produziert ist. Die gezeigten Ausschnitte des Films, die tristen Bilder, die tiefen und realen Klänge und die dadurch erzeugte düstere Atmosphäre, erzeugten im Publikum eine fühlbare Spannung, sodass manche sogar fast das Atmen vergaßen…
Wer nun Interesse an diesem spannenden Projekt bekommen hat, darf sich freuen: Ein weiterer Vortrag inklusive Vorführung des halbstündigen Films ist von Alexander Herzog im nächsten Monat am Mediencampus geplant.
Fotos: Steven Wolf