Vier Experimente über Demokratie
Philip Faigle von ZEIT ONLINE war beim MediaMonday und berichtet über das Ressort #D17 und die daraus resultierenden Projekte.
Ein Beitrag von Meike Fenz
Montag, 4. Dezember 2017
Mediencampus der Hochschule Darmstadt
2016. Trump wird Präsident der USA, in England beschließen die Bürger den Brexit. Viele geben unter anderem der Berichterstattung der Medien die Schuld für diese beiden Ereignisse.
Deutschland, 2017. Die Bundestagswahlen stehen bevor. Die Redaktion der ZEIT ONLINE beginnt, sich zu hinterfragen. Wie verläuft die Berichterstattung momentan? Muss vielleicht etwas geändert werden? Aus diesen Fragestellungen heraus entstand #D17.
Philip Faigle von der ZEIT ONLINE war beim MediaMonday und erklärte den Anwesenden, woraus #D17 besteht, welche vier Experimente die ZEIT ONLINE bisher durchgeführt hat und was die Ergebnisse waren.
Wer ist Philip Faigle?
Philip Faigle ist 1980 in Köln geboren und dort auch aufgewachsen. Er besuchte die Kölner Journalistenschule und studierte Politik und Ökonomie. Danach arbeitete er als freier Autor und Reporter für verschiedene Magazine und Tageszeitungen. Seit 2007 ist er Redakteur bei der ZEIT ONLINE, anfangs in Hamburg, jetzt in der Berliner Redaktion. Seit 2014 arbeitet er für das Investigativ- und Datenteam und betreut große Recherchen, die sowohl DIE ZEIT als auch die ZEIT ONLINE gemeinsam angehen. Er war von Anfang an bei dem Sonderressort #D17 dabei und leitet dies gemeinsam mit dem Chef vom Dienst, Christian Bangel.
Seine Geschichten und Interviews wurden unter anderem mit dem Ernst-Schneider-Preis, dem Helmut-Schmidt-Preis und dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet.
Was ist #D17 und welche Projekte entstanden daraus?
Die Gedanken an eine Veränderung entstanden bereits 2016. Die Redakteure von ZEIT ONLINE fragten sich, wie sie aus den Fehlern anderer Journalisten in anderen Ländern lernen können und ob die Art der Berichterstattung vielleicht geändert werden müsse. Somit entstand das neue Ressort #D17. Das Ziel von #D17 ist es, Deutschland in einer Zeit, die durch politische Krisen und anstehende Wahlen geprägt ist, neu kennenzulernen.
Heimatreporter
Fast 70% aller Deutschen leben in Orten mit weniger als 100.000 Einwohnern. Jedoch sind die Sorgen der Menschen aus Dörfern meist eher „Beiwerk“, so Philip Faigle. Die ZEIT ONLINE Redakteure wollten verstehen, was diese Menschen beschäftigt und riefen das Projekt „Heimatreporter“ ins Leben. Sie reisten in ihre Heimat und berichteten über die Sorgen der Menschen dort. Inhalt dessen waren die ungewöhnlichsten Geschichten, die ganz entgegen der Befürchtungen extrem gut ankamen. Die entstandenen Artikel wurden von ZEIT ONLINE direkt auf der Website angeteasert und teilweise sogar besser als Artikel über Trump oder Erdogan gelesen. Den größten Erfolg erreichte ein Artikel über den Spessart, den mehr als 300.000 Menschen lasen.
Das Projekt „Heimatreporter“ stellte das erfolgreichste journalistische Experiment dar und soll in Zukunft um das Projekt „Überland“ erweitert werden. Dazu werden 12 – 15 Lokalreporter eingestellt, die ZEIT ONLINE mit weiteren lokalen Themen bespielen.
Deutschland spricht
Das zweite Projekt soll gegen die Filterblasen-Problematik wirken. Eine Person kommt meist nur mit Ansichten nahe der eigenen in Verbindung, sei es durch Algorithmen in Social Media Kanälen oder durch soziale Kontakte. Setzen sich Menschen nicht aktiv mit anderen Meinungen auseinander, werden sie mit diesen in der Regel auch nicht konfrontiert. Das Ziel dieses Projektes war es also, Menschen mit komplett unterschiedlichen politischen Ansichten zusammenzuführen. Dazu wurde eine kurze Umfrage durchgeführt, in der Interessierte fünf politische Grundsatzfragen beantworten sollten.
Auch hier waren Sorgen vor zu geringem Interesse vollkommen unbegründet – 14.000 Leute wollten bei Deutschland spricht mitmachen. So konnten am 8. Juni 2017 3.800 Paare zusammengeführt werden. ZEIT ONLINE versuchte bei den Arrangements der Treffen Personen zusammenzuführen, die möglichst unterschiedliche Meinungen hatten, aber deren physische Distanz nicht allzu groß war.
Sie baten die Gesprächspaare um ein Selfie und ein kurzes Feedback und erhielten die Grunderfahrung, dass der Gegenüber ja „gar nicht so schlimm“ sei.
Z2x
Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums entstand das Z2x-Festival, aus dem sich später eine eigene Community bildete. Z2x ist eine Gemeinschaft junger Visionäre im Alter von 20 bis 29, die Ideen austauschen, um das eigene oder gesellschaftliche Leben zu verbessern. Sowohl online, als auch auf dem mittlerweile jährlich stattfindenden Festival in Berlin. ZEIT ONLINE hat sich dazu entschlossen, die besten Ideen von ihren Machern präsentieren zu lassen und diese dann zu unterstützen.
Stimmungskurven
Um auf die Leser zuzugehen und sie zu verstehen, führte ZEIT ONLINE eine tägliche Umfrage ein, bei der die Leser abstimmen können, ob es ihnen schlecht oder gut geht. Zusätzlich darf noch ein Adjektiv genannt werden, bei dem der Kreativität keine Grenzen gesetzt sind. Die anfängliche Skepsis wandelte sich und mittlerweile sind es täglich zwischen 3.000 und 7.000 Leser, die an der Abstimmung teilnehmen. Insgesamt haben schon 1,3 Millionen Personen an der Umfrage teilgenommen.
Interessant war die Veränderung der Stimmungen während der Wahl. Hier einige Grafiken und untenstehend auch die eben genannte Stimmungsänderung.
Vor allem das Projekt Heimatreporter habe sehr geholfen, so Philip Faigle in seinem Fazit. Es seien tolle Geschichten entstanden, die bei Menschen aus Kleinstädten und Dörfern gegen das Gefühl der Irrelevanz gewirkt haben. Mit diesem und dem Projekt „Deutschland spricht“ habe ZEIT ONLINE Leser erreicht, die sie sonst nicht erreicht hätten. Der Perspektivwechsel, um den sich extrem bemüht wurde, ist ZEIT ONLINE somit gelungen.
Für 2018 stehen weiter spannende Projekte an, einige werden auch weitergeführt.
Was gibt es beim nächsten MediaMonday?
Der nächste MediaMonday findet am Montag, den 11. Dezember 2017 ab 17:45 im Hörsaal unter der Aula statt.
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