ScienceWednesday: Storytelling – Psychologische Aspekte des Geschichtenverstehens
Prof. Dr. Carlo Sommer konzentrierte sich bei seinem Vortrag auf das Thema „Storytelling“ und die damit verbundenen Grundlagen der Psychologie.
Ein Beitrag von Jannik Bork
Samstag, 23. Mai 2015
Mediencampus der Hochschule Darmstadt
Nach dem Auftakt des Sommersemesters 2015 vor zwei Wochen entfernte sich der aktuelle Vortrag vom Thema „Sound“ und ging in eine völlig andere Richtung – und zwar Psychologie. Dieses Mal war Prof. Dr. Carlo Sommer als Referent geladen. Er konzentrierte sich bei seinem Vortrag auf das Thema „Storytelling“ und die damit verbundenen Grundlagen der Psychologie.
Mit der Frage „Was ist eigentlich Storytelling?“ eröffnete er die Präsentation und legte zu Beginn dar, wie schwierig es sei, für den Begriff eine klare Definition zu finden. Um die Frage etwas besser zu beantworten, gab Sommer den Zuhörern einen kurzen Einstieg in die psychologischen Grundlagen des Geschichtenverstehens aus der Perspektive des Rezipienten und wollte damit die Wirksamkeit einer Geschichte prüfen.
Das Hauptziel beim Storytelling sei, den Empfängern näherzukommen und ein subjektives Gefühl zu übermitteln, so Prof. Dr. Carlo Sommer. Doch wie verstehen wir Menschen eigentlich Geschichten? Die Voraussetzung, um etwas zu verstehen, sei das Vorwissen zum dazugehörigen Thema – es bedürfe Welt- und Textwissen. Wissen werde in unserem Gehirn als Schemata abgespeichert. Aus diesen kognitiven Strukturen sei es möglich, etwas vorauszusehen und Erwartungen zu treffen. Als Beispiel zeigte Sommer die Skizze eines Baseball-Spielers vor einem weißen Hintergrund. Unser Gehirn assoziiert mit dem Begriff Baseball die weiteren Rahmenbedingungen für das zu erwartende Szenario: Eine Rasenfläche, ein Stadion, Zuschauer, etc.
Um nun eine Geschichte zu verstehen, brauche der Rezipient elementare Geschichtenstrukturen, die sogenannte „Geschichtengrammatik“. Diese beschreibt das Wissen über den Aufbau einer Erzählung. Durch den hohen Input an multimedialen Geschichten im Alltag habe jeder Mensch automatisch eine Vorstellung, wie eine konkrete Story aufgebaut sein sollte, wie zum Beispiel bei einem Märchen oder einem Krimi. Das Geschichtenverstehen sei ein Zusammenspiel von Geschichtengrammatik und dem Einbeziehen von erlerntem Welt- und Textwissen. Erzählungen können deshalb nur spannend sein, weil wir Vorstellungen über den weiteren Ablauf haben – das Vorwissen bestimmt also die Wahrnehmung.
Zu dem Thema Wahrnehmung stellte Prof. Dr. Carlo Sommer drei Modelle vor:
- Das Situationsmodell („Mentales Modell“) beschreibt das Verstehen einer konkreten Geschichte anhand von Welt- und Textwissen des Rezipienten. Seine Vorstellungen bzw. Erwartungen werden während der Handlung fortlaufend aktualisiert.
- „Identifikation – Perspektivenübername“ meint die Identifikation des Rezipienten mit dem Protagonisten. Wenn er die Geschichte versteht, wird er hineingezogen und erlebt die Handlung aus der Perspektive der Hauptfigur – sowohl physisch, als auch psychisch.
- „Transportation“ steht für das Ausmaß der Beteiligung, also den Grad des Miterlebens. Bei diesem Modell sei die Verarbeitung des Rezipienten weniger kritisch, dafür immens emotional.
In einer aktuellen empirischen Forschung (Früh und Frey 2014) gebe es bislang noch keine eindeutigen Belege für die genannten Effekte von Storytelling. Auf manche Menschen wirke das Geschichtenerzählen sogar weniger informativ. Den Grund dafür sieht Prof. Dr. Carlo Sommer in der unterschiedlichen Bildung und dem verwendeten Medium.
Sein Fazit war, dass Storytelling auch nur menschlich und somit mit Fehlern behaftet sei. Die Wirkung auf den Rezipienten seien eher schnelle, gefühlsmäßige Effekte, die dem rationalen Denken gegenüberstehen. Geschichten könnten daher nur selten langfristig überzeugen.