ScienceWednesday: Slow Media im Lauf gegen die Zeit
Medienkonsum und Stress gehen zunehmend einher. Wer auf Multitasking setzt, vertraue lediglich auf einen Mythos, behauptet Prof. Dr. Seeger.
Ein Beitrag von Jannik Bork
Dienstag, 10. Mai 2016
Mediencampus der Hochschule Darmstadt
Von Whatsapp über XING bis zum Internetmagazin – Online-Medien begleiten uns den ganzen Tag und beeinflussen unsere Wahrnehmung der Zeit. Prof. Dr. Peter Seeger, seines Zeichens Kommunikationswissenschaftler, referierte am vergangenen Mittwoch, dem 04.05. über sein aktuelles Forschungsthema “Slow Media”. Dabei untersuchte er die gesellschaftlichen Auswirkungen des aktuellen Medienkonsums und präsentierte den Gästen des ScienceWednesdays Lösungsansätze sowie einen Blick in die Zukunft.
Slow Media als Entschleunigung?
Zu Beginn listete Seeger diverse Medien auf, die als Elemente von Slow Media zu bezeichnen sind. Die journalistischen Produkte reichten von Rundfunkformaten bis zu Wochenzeitungen wie “DIE ZEIT” oder “Krautreporter”.
Der Begriff impliziere zuerst die Entschleunigung der rasanten Medienwelt, doch dahinter verberge sich weit mehr. Laut Professor Hans Georg Stolz sind Stärke, Intelligenz und Nachhaltigkeit weitere Kriterien, an denen sich Slow Media orientiert. Der Ausdruck sei nicht bloß ein Modebegriff, sondern öffne Türen, um über aktuelle Themen und Veränderungen zu diskutieren.
Quantität vor Qualität im Journalismus?
Seeger untersuchte in seinem Forschungssemester die veränderten Zeit- und Wertemuster in der Mediennutzung und im Journalismus und wie Konsumenten mit der “beschleunigten” Zeit umgehen.
Er stellte die These auf, dass der Zeitdruck prekäre Arbeitsverhältnisse für Journalisten mitbringe, da die Mediennutzer ein verfälschtes Verständnis von Journalismus besäßen. Die Konsumenten wüssten nicht, wieso sie für Berichterstattung eigentlich noch Geld ausgeben sollten, angesichts kostenloser Alternativen im Web. Dies führe zu einer Krise des bezahlten Journalismus und habe weitreichende Konsequenzen für die aufgeklärte Öffentlichkeit in einer demokratischen Gesellschaft.
“Smartphone vernichtet Zeit, Multitasking als Mythos”
Im Allgemeinen sei bekannt, dass Kapitalismus auf Wachstum aus ist, sonst käme es zu einer Regression. Jedoch werde für eine wirtschaftliche Steigerung immer Zeit benötigt und diese sei nun mal begrenzt. Die Folge sei steigender Zeitdruck. Technische Innovationen versprechen zwar Zeiteinsparungen, jedoch beanspruchen sie laut Seeger in der Summe mehr Zeit, als sie eigentlich nützlich sind. Zeitwohlstand sehe anders aus.
Der Widerspruch daran sei, dass wir zwar in Lichtgeschwindigkeit kommunizieren und Informationen direkt auf Abruf zur Verfügung stehen, jedoch seien Mediennutzer immer unter Zeitdruck, da sie vieles parallel machen und dies zu einer Überforderung führe. Multitasking funktioniere demnach nicht. Seeger erklärt das Paradoxon mit einem inneren Zeitdruck, da die Nutzer ständig auf neue Benachrichtigungen warten.
Smartphones als digitale Droge
Wieso es einfach Spaß macht, sein Smartphone in die Hand zu nehmen, liege an den neuronalen Reizen in unserem Gehirn. Schon der Benachrichtigungston setze Belohnungsmoleküle frei, weshalb der Mechanismus so gut funktioniere und abhängig mache. Die Smartphone-Droge Dopamin ist laut Marc Wittman unser Zeit- und Ich-Töter.
Unsere veränderte Eigenzeit führe zu Stress und münde in dysfunktionaler Entschleunigung wie einem Burnout oder Depressionen. Seeger ist der Ansicht, dass Konsumenten sowohl an persönliche als auch soziale Grenzen stoßen – ein Engpass, dem Slow Media entgegenwirken möchte.
Was machen Menschen mit Medien?
Seeger legte eine aktuelle Studie aus dem Jahre 2015 vor, welche die Mediennutzung der Gesellschaft über den Tagesverlauf zeigte. Fernsehen, Hörfunk und die private Internetnutzung sind weiterhin am beliebtesten. Auffällig ist, dass die klassischen Medien zu bestimmten Tageszeiten präferiert werden, jedoch das Internet als unablässiger Tagesbegleiter fungiert. In der Summe sind es pro Person täglich zehn Stunden private Mediennutzung. Eine immens hohe Zahl, die nur durch Parallelnutzung zu bewältigen ist. Der gefühlte Stress nehme zu. Eine weitere Studie aus dem Jahre 2015 zur Typisierung weist einen Widerspruch auf, da 92,5 Prozent aussagen, sie wollen Medien getrennt nutzen.
Slow Media als Marktnische?
Seeger sieht ein enormes Potenzial für Slow Media in der Zukunft. Ziel dabei ist die Steigerung der Qualität, sowohl auf der Ebene des Journalismus als auch der Lebensqualität. Als Lösungsansätze präsentierte er beispielsweise das Monotasking und das Downshifting. Dabei geht es vor allem darum, Medien bewusst, relevant, gelassen, beachtsam und ganzheitlich zu nutzen.
Slow Media revolutioniere zwar keinesfalls die Mediennutzung, stoße aber Diskussionen für die Forschung an. Er könne sich sogar Slow Media als eine Art Marktnische oder potenzielle Berufsstrategie in naher Zukunft vorstellen.