„Es ist Zeit für eine Veränderung“
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Donnerstag, 2. Januar 2014
Mediencampus der Hochschule Darmstadt
Einen Euro – so viel kostet ein Pistolen-Schuss in der Nachbearbeitung eines Films und jeder Beutel, aus dem Blut spritzt bei einem Treffer, kostet fünf Euro. Bei einem Verschleiß von 1,2 Milliarden Schüssen wie bei dem Action-Film von Til Schweiger „Schutzengel“ käme also einiges zusammen. Gut, dass das Produktions-Team diese Kosten umgehen konnte, indem sie das kurze Aufflackern von Licht bei einem abgefeuerten Schuss direkt beim Drehen einfangen konnten – die teure Nachbearbeitung entfiel.
Doch das war bei weitem nicht das spannendste, das Adrian Cranage, gebürtiger Australier und Kameramann unter anderem für „Schutzengel“ und „Kokowääh 2“, beim Media Monday zu berichten hatte.
Privat befreundet mit Til Schweiger
Fast das ganze Campuskino war voll, als Adrian Cranage – in seiner Muttersprache Englisch – von seinen Erfahrungen bei der Produktion von „Schutzengel“ sprach. Der Action-Film handelt von einem Teenager, Nina (gespielt von Luna Schweiger), die Zeugin eines Mordfalles wird und daraufhin in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen wird. Nachdem der Zufluchtsort allerdings auffliegt, versteckt und beschützt der Polizist Max (gespielt von Til Schweiger, der ebenfalls als Regisseur für den Film tätig wurde) Nina vor ihren Feinden, die die Zeugin am liebsten tot sehen würden. Über zu wenig Action oder Film-Schüsse kann man sich bei „Schutzengel“ also definitiv nicht beklagen.
In seinem Vortrag erklärte Adrian Cranage, mit brauner Wollmütze und lässiger Adidas-Jacke, zunächst, wie durch verschiedene Test-Aufnahmen mit den Hauptdarstellern der Look für den Film festgelegt wurde. Als der dann in einem Kino in Berlin auf einer zwölf Meter großen Leinwand vorgestellt wurde, war Til Schweiger sofort begeistert und fotografierte sogleich das Bild auf der Leinwand – das ihn selbst zeigte. Bei der Gelegenheit verriet Adrian Cranage auch, wie es ist, mit Til Schweiger zu arbeiten. Er lobte sehr die Professionalität und Verantwortung des Schauspielers, Regisseurs und Produzenten, allerdings: „Til weiß, was er am Set will, und kann dann auch mal zu einer Nervensäge werden – das ist kein Geheimnis, das weiß er auch selbst“, grinst Adrian Cranage. „Privat ist er ein toller Mensch, ich mag ihn sehr und wir sind Freunde.“
Täglich 10.000 Schüsse am Set
Anschließend berichtete Adrian Cranage ausführlich, wie das Team durch Test-Aufnahmen festgelegt hat, wie Treffer von Schüssen aussehen sollen – sowohl Einschläge in Wände als auch in Menschen. Doch dann wurde Adrian Cranage plötzlich ernst: „In der ersten Zeit, in der wir gefilmt haben, haben wir sehr auf Sicherheit geachtet. Wenn man aber drei Monate lang am Set 10.000 Schüsse am Tag hört, wird das zur Normalität.“ Man müsse allerdings aufpassen, dass man nicht zu nachlässig mit den Sicherheitsvorkehrungen werde. Denn ein Mitarbeiter habe sich am Set verletzt, eine Patrone habe ihn an der Stirn getroffen. Die Verletzung war so stark, dass sie im Krankenhaus mit zwölf Stichen genäht werden musste und noch heute eine große Narbe zu sehen ist. „Es gab schon Menschen, die sind an so etwas gestorben“, so Adrian Cranage mahnend.
Wie durch eine Becks-Flasche gefilmt
Ist der Look eines Filmes beschlossen, ist es laut Adrian Cranage fast unmöglich, ihn nach dem Dreh und der Nachbearbeitung noch einmal zu ändern. Anders bei „Schutzengel“. Grund: Durch einen Fehler bei der Aufnahme einer U-Bahn-Szene wirkte das Material sehr grünstichig, als hätte man sie „durch eine Flasche Becks gefilmt“, so Cranage. Als Til Schweiger die Aufnahmen jedoch sah, gefielen sie ihm so sehr, dass er den gesamten Film statt in kühlem Blau eher in Grün-Tönen haben wollte. Das bedeutete für die Crew eine ganze Menge Nachbearbeitungen. „Das ist eine sehr kräftezehrende Arbeit. Seitdem reagiere ich allergisch, wenn jemand am Set sagt: ‚Das kann man noch in der Nachproduktion ändern’“, so Adrian Cranage. Sicherlich sei es oft schneller und günstiger, wenn in der Nachproduktion etwas geändert wird, allerdings sollte das im Konzept eingeplant sein, damit die Zeit am Ende nicht knapp wird.
Weniger künstliche Belichtung notwendig
Immer wieder zeigt Adrian Cranage Szenen aus „Schutzengel“ vor der Bearbeitung, wie beispielsweise der Farbkorrektur, und danach. Auch einen Einblick in das 142-seitige Drehbuch bekommen die Zuhörer, einige Szenen werden von Freiwilligen aus dem Publikum vorgelesen und anschließend wird die entsprechende Szene gezeigt, wie sie letztendlich im Film umgesetzt wurde.
Doch eines stört Adrian Cranage: der seiner Meinung nach viel zu komplizierte und veraltete Workflow beim Dreh und der Nachproduktion. „Das ist reine Zeitverschwendung“, so der Australier. Beim Dreh könne man beispielsweise viel am künstlich aufgebauten Licht sparen und die vorhandene Beleuchtung am Drehort verwenden. Als Beweis zeigte Adrian Cranage eine Straße in Berlin bei Nacht, die durch Straßenlaternen und den Schnee hell genug war, und wo nur wenig zusätzliches Licht benötigt wurde. „Das sah großartig aus“, so der Kameramann. So könnte viel Zeit eingespart werden. „Es muss sich etwas verändern. Und ich glaube fest daran, dass es passieren wird. Man braucht einfach nicht mehr diese ganze Belichtung und die große Crew. Es ist nicht mehr wie vor 20 Jahren. Vielleicht werde ich wegen dieser Einstellung keine Jobs mehr bekommen und in einem Jahr wie ihr als Student in diesem Kino sitzen, aber das ist es, was ich wirklich denke.“
Sonja Nowack